Ich sitze an der Bushaltestelle, auf der anderen Straßenseite hält ein Wagen der 48er, Müllabfuhr. Einer steigt ab und wartet neben dem Wagen, der andere geht ins Haus und kommt mit zwei Mistkübeln zurück. Sie hängen sie hinten am Wagen ein, ein Hebel wird betätigt, die Kübel werden hochgehievt, gekippt und geschüttelt, der Inhalt entleert sich ins Innere des Müllwagens. Die Kübel werden wieder abgestellt, einer bringt sie zurück in den Hof, während der andere auf das schmale Trittbrett am Wagenende steigt und der Fahrer zum nächsten Haus chauffiert, wo sich das Ganze wiederholt.
Die ‚Kollaps-Bewegung‘ wächst beständig und bekommt viel Zuspruch aus der jüngeren Generation. Die Einordnung ist mir nicht ganz klar. Ist sie Teil der Klimabewegung (aus der heraus sie entstanden ist), steht sie neben der Klimabewegung oder gegen die Klimabewegung, eine Weiterentwicklung? Nicht wie wir die Klimakatastrophe eindämmen, sondern wie wir im Kollaps in Gemeinschaft (über)leben können, ist da die Frage.
Ich warte immer noch auf den Bus und denk mir, was wohl wäre, wenn die Müllabfuhr nicht mehr regelmäßig kommt. Wenn es zu wenig Sprit und Strom gäbe, um eine gut funktionierende Müllabfuhr zu betreiben. Müll würde sich anhäufen, in den Straßen und Innenhöfen würde sich Gestank verbreiten und vielleicht, wenn es lange dauert, würden sich Leute zusammentun, um den Müll aus der Stadt hinauszuschaffen.
Kollaps geschieht nicht wie in einem Hollywoodfilm, wir wachen morgens auf und die eine Hälfte der Welt ist von Eis überzogen, die andere wird überschwemmt oder verbrennt. Das ist Fiction. Selbst wenn ein klimatischer Kipppunkt erreicht ist, wäre Grönland nicht morgen eisfrei. Das dauert. Schwierig an den Kipppunkten ist nur, dass sie unumkehrbar sind, aber sie lösen nicht sofortiges Chaos aus. Vielleicht geht ein Abgleiten in chaotische gesellschaftliche Zustände bei sozialen Kipppunkten um einiges schneller, ich weiß es nicht. Vermutlich.
Wenn von Kollaps die Rede ist, heißt das vorerst nur, dass Selbstverständlichkeiten unseres Alltags nicht mehr funktionieren. Zum Beispiel die Müllabfuhr, das öffentliche Verkehrsnetz, die Supermärkte in erreichbarem Umkreis oder auch die umfassende Energieversorgung. Soweit ich die Kollaps-Bewegung verstehe, geht es darum, sich auf solche Situationen vorzubereiten, um sie gemeinschaftlich zu bewältigen und einen Kampf jeder gegen jede zu vermeiden, um auch im gesellschaftlichen Chaos solidarisch handlungsfähig zu bleiben.
Und was heißt das jetzt für die Klimabewegung? Wenn der Kollaps bereits begonnen hat, macht es doch keinen Sinn, weiter gegen den Klimawandel anzukämpfen, alles dreht sich um’s Überleben. Das wäre vielleicht der Fall, wenn es ein Fiction-Film-Kollaps wäre, ist es aber nicht.
Teile des selbstverständlich funktionierenden Alltags können zeitweise oder für länger nicht funktionieren und wir müssen Wege finden, damit umzugehen. Und Wege, wie wir die Funktion wiederherstellen oder ersetzen bzw. den Ausfall weiterer Systemteile verhindern, wie wir mit gesellschaftlich chaotischen Zuständen konstruktiv umgehen und ihnen entgegenwirken können.
Teile eines bisher als selbstverständlich hingenommenen Klimasystems könnten nicht mehr funktionieren (oder haben sich in Teilen bereits funktional verändert) und wir müssen Wege finden, mit den Folgen umzugehen. Und Wege, wie wir ein Fortschreiten der Katastrophe vermeiden oder zumindest verzögern können. Der Kampf um jedes Zehntel Grad ist keine hohle Phrase. Ein Zehntel Grad weniger bedeutet weniger Hitze, Dürre, Waldbrände, extreme Wetterereignisse, weniger Schäden an Mensch und Natur.
Einige Anhänger:innen der Kollaps-Bewegung würden es vermutlich anders sehen, aber ich finde, Klima- und Kollapsbewegung sind weder neben- noch gegen- oder hintereinander und es geht nicht um entweder oder. Die beiden Bewegungen ergänzen sich. Es braucht beide.
Lieber Stephan,
Das finde ich sehr gut analysiert und dargestellt, vielen Dank dafür! Ich habe mich das auch schon oft gefragt, wie die beiden zusammengehen und bin ganz deiner Meinung !
Beide Bewegungen sollten sich unterstützen und ergänzen.
LG
Birgit